Kurzgeschichten aus Gran Canaria
was Autoren über Gran Canaria schreiben und denken
Unsere kleine Serie mit Kurzgeschichten beginnen wir mit Leo Thoma, einem Ex-Augsburger der schon seit Jahren in Barcelona lebt. Leo Thoma unterrichtet aber nicht nur Deutsch an der Universität in Barcelona: Immer mehr zur Hauptbeschäftigung werden seine Bücher mit Kurzgeschichten die sich speziell an Fremdsprachler richten, die Deutsch lernen. Wer über die oft sehr "limitierten" Themen und Inhalte der Schulbücher hinaus Lesestoff in Deutsch möchte, findet in Leo Thoma´s Büchern mit Kurzgeschichten realistische und unterhaltsame Texte, die von Fremdsprachlern trotzdem gut verstanden werden können. "Die Blaumacherin" ist einer der erfolgreichen Buchtitel von Leo Thoma, der in zahlreichen Sprachschulen rund um den Globus verwendet wird um die Deutsche Sprache zu unterrichten.
Die Frau in der Bar
Nein, Max ist mit seinem Urlaub absolut nicht zufrieden.
Zwei Wochen ist er jetzt hier auf Gran Canaria, aber es ist nichts Besonderes passiert, keine Abenteuer, keine Überraschungen. Und heute ist schon der letzte Abend.
Am Strand oder am Swimmingpool morgens hat er meistens Else und Werner aus Hamburg getroffen. Nachmittags hat er sich manchmal mit Petra unterhalten, einer Studentin aus Duisburg, die sich sehr für seine Arbeit in der Bank interessiert hat. Mit Toni, seinem Surf- und Tennislehrer, ist er ab und zu in die Diskothek ‚Titanic‘ gegangen. Aber dort war auch nie viel los. Sie haben dort nur Petra wieder getroffen und einmal sogar Else und Werner, beide ein wenig betrunken.
Auch heute Abend wird es wieder so sein. Das Hotel organisiert einen Abschlusscocktail. Morgen reisen viele Gäste ab. Ende der Sommersaison. Max hat sich schon chic gemacht, mit blauem Anzug, gelber Krawatte und seinem Lieblingsparfum „Fool Water“.
Ein Blick in den Spiegel. Alles passt. Gute Figur, sehr schön, sehr sportlich, wie immer. Alles schön und gut, ja, ja. Aber wozu eigentlich? Wozu der Anzug? Wozu die Krawatte? Wozu die ganze Gala?
So toll sind die Ferien hier doch auch nicht gewesen! Und jetzt noch einmal mit Else über das Wetter plaudern und mit Petra über den Euro? Muss das sein? Genügt es nicht, dass er übermorgen in Frankfurt wieder den ganzen Tag über Kredite und Hypotheken sprechen muss - und über das Wetter?
Max sieht auf seinen Wecker. Es ist schon spät. Er seufzt und geht langsam die Treppe hinunter. Vor dem Festsaal bleibt er stehen und schaut durch die große Glastür. Es ist schon eine Menge los, viele Leute und schreckliche Musik. Er sieht zur Bühne. Da steht Else und singt mit rotem Kopf ‚Viva España‘.
Karaoke, auch das noch! Nein, denkt er, das muss nicht sein.
Er dreht sich um und geht nach draußen. Immerhin hat er ja noch sein Mietauto. Aber wohin soll er jetzt fahren? Zur ‚Titanic‘? Lieber nicht.
Egal wohin, sagt er sich und steigt ein, nur weg von hier.
Er fährt durch das Feriendorf. Leuchtreklamen, Lärm und Leute. Max hält nicht an. Er nimmt eine kleine Straße, die Hügel hinauf, in die Dunkelheit hinein. Plötzlich ist alles still. Kaum Lichter, nur der Mond über dem Meer.
Seltsam, denkt Max, nicht einmal zehn Minuten mit dem Auto, und schon ist alles ganz anders.
Er sieht ein paar Häuser an der Straße, ein erleuchtetes Schild: Bar. Er hält an und schaut durch ein Fenster: ein einfaches Lokal, eine junge Frau hinter der Theke, die Tische fast leer, leise Musik.
Gut, denkt er, noch ein Bier, um müde zu werden. Dann fahre ich zurück und gehe schlafen.
Er geht hinein, setzt sich an die Theke und bestellt. Die Frau lächelt.
„Sie sprechen Spanisch?“
„Ja“, antwortet Max, „aber leider nur ein bisschen.“
„Na ja, dann können Sie ja hier üben.“
„Ja, das habe ich eigentlich auch gedacht. Aber am Strand und im Hotel habe ich doch nur Deutsch gesprochen. Und man trifft ja auch fast nur Deutsche.“
„Ja“, sagt die Frau, „am Strand und in den Hotels. Aber sind Sie nicht einmal hinauf in die Berge gefahren, in die kleinen Dörfer?“
Max schüttelt den Kopf. „Nein, warum denn?“
„Die Landschaft ist wunderbar da oben. Und jetzt im September gibt es dort viele Feste. Weinfeste mit Musik. Die Leute essen und trinken und tanzen auf der Straße. Als Fremder sind Sie da willkommen, und wenn Sie auch noch ein wenig Spanisch sprechen, umso besser.“
„Davon habe ich im Hotel gar nichts gehört“, sagt Max leise.
Die Frau zuckt mit der Schulter, trinkt einen Schluck Wein und sieht aus dem Fenster.
„Ich wundere mich über die Touristen hier“, sagt sie, „alle bleiben unten in den großen Ferienzentren. Aber Swimmingpools und Hotelbars gibt es doch überall. Und selbst die Strände dort sind nichts Besonderes. Deshalb braucht man doch nicht so weit zu fliegen. Das Schöne hier, das ist doch etwas ganz Anderes: die Berge, die Buchten, die Dörfer, die Leute. Es gibt hier so viel zu entdecken!“
Max weiß nicht, was er sagen soll.
„Ja, da haben Sie Recht. Aber irgendwie ..., da unten am Strand, in der Hitze, denkt man nicht daran.“
Die letzten Gäste stehen auf und verabschieden sich. Die junge Frau sieht auf die Uhr.
„Es ist schon spät“, sagt sie, „ich muss jetzt schließen. Aber ich werde morgen in ein kleines Dorf fahren. Ich besuche dort Freunde. Wenn Sie Lust haben, können Sie mitkommen, damit Sie mal etwas anderes sehen.“
Max sieht die Frau an. Sie trinkt lächelnd ihr Glas aus.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen“, sagte er, „aber ich fahre morgen schon. Heute ist mein letzter Tag hier.“
„Schade“, hört er die Frau sagen.
„Ja, wirklich schade“, denkt Max und legt ein paar Münzen auf die Theke.
Draußen vor seinem Auto wirft er noch einmal einen Blick zurück. Die Frau in der Bar lächelt noch immer. Langsam gehen die Jalousien nach unten.
© Leonhard Thoma